Freitag, 18. Januar 2013

Erlebnispark Trips Trill

Mitte Januar 2013. Die Blogomotive erwacht aus ihrem Winterschlaf. Sechs Wochen ist es nun her, dass ihr das letzte Mal von uns gehört habt. Jetzt tritt endlich wieder Qualm aus dem Schornstein.

Am anderen Ende der Welt gab es alle Hände voll zu tun - zum Beispiel  Sonnen, Reisen, Feiern und dabei immer schön kräftig Kendrick Lamar pumpen. Dabei blieb die Blogomotive leider etwas auf der Strecke. Voller Ideen und Tatendrang geht es jetzt aber in das neue Jahr und die Karten werden neu gemischt. Nachdem Action Bronson 2013 im Rahmen seiner Welttournee bereits mit einem großen Knall eröffnete, buhlt nun ein anderer Verfechter der jungen Rap-Garde um die Gunst der Szene.



Uptown Manhattan. An der Ecke 140th St / Lennox Ave kommt es vor einem lokalen Plattenladen zu einem lärmenden Menschenauflauf, der nur mühsam durch  mehrere Türsteher zurückgehalten werden kann. Innen hat ein junger Mann zur Listening Session seines neuen Albums geladen, der vor 2 Jahren noch selbst Würfel durch die engen Gassen Harlems rollte. Jetzt will jeder dabei sein, wenn New York Rap in ein neues Zeitalter eintritt.

A$AP Rocky ist ein Künstler, der sowohl die Ressorts klassischer als auch moderner Kulturmedien fast schon spielerisch dominiert. Egal ob Rolling Stone, die New York Times, Die Süddeutsche oder Blogs wie 2dopeboyz und Hypetrak - die vergangenen Monate schimmerten eindeutig in glänzendem Codein-Lila. Seit seinem wegweisenden Untergrundhit, der Hustensaft-Hymne Purple Swag ist mittlerweile mehr als ein Jahr vergangen und der unangefochtene Anführer des A$AP Mobs schickt mit Long.Live.A$AP sein langerwahrtetes Debutalbum ins Rennen. Gefühlte 12 Mal wurde die Platte immer wieder kurzfristig verschoben, nun steht sie weltweit in den Regalen von Best Buy über Virgin bis hin zu Media Markt. Trotz illegaler Raubkopierer und vielleicht gerade wegen dem Boom von digitalen Tonträgern wird von A$AP Rocky dabei nichts Anderes als die Spitze der Charts erwartet. Und nicht nur die Last seines Labels liegt auf den Schultern des 24-jährigen New Yorkers.



Fast ein Jahr nach ersten Medienberichten von einem 3-Millionen-Dollar-Deal mit Sony Entertainment liefert der selbstproklamierte "Pretty Motherfucker" eine Platte ab, die seine Fans mehr herbeisehnt hatten als ein Sextape von Megan Fox. Ohne Album und mit nur einem Mixtape im Gepäck hatte es Rocky 2012 geschafft, Hallen von Paris bis Tokyo zu füllen und nach der Show entspannt mit Daft Punk oder Pharrell im Tourbus auf das Leben anzustoßen. Ein im besten Falle mittelmäßiges Posse-Mixtape des A$AP Mobs im Sommer (Lord$ Never Worry) versetzte seine Anhänger nicht gerade in Freudenstürme und diente allerhöchstens zur Überbrückung der Wartezeit auf den Longplayer. Jetzt gilt es, den Hype aufrecht zu erhalten und im besten Falle noch weiter zu steigern.
Dass Sonys Labelbosse dabei auf Nummer sicher gehen und ja nichts dem Zufall überlassen möchten, sah man an der streng durchgeplanten Album-Promotion im Vorfeld des Releases. Clubtour durch die USA und Europa - check. Liveautritt bei David Letterman - check. Charttaugliches Rihanna-Feature inklusive MTV-Performance - check. 

Auch das Album an sich ist nicht hektisch geworden, sondern wohl überlegt und getimt. Gleich nach Betätigung der Play-Taste wird man mit dem alles andere als homogenen A$AP-Sound konfrontiert. Verzerrte Houston-Synthies treffen auf den Lifestyle der Nouveaux Riche von Harlem, New York City.




Diese auf den ersten Blick inhaltliche Diskrepanz rührt vor Allem daher, dass A$AP Rocky als Protagonist der Platte genau zu der Zeit aufwuchs, als Cam'ron und die Diplomats rappend durch die Neighborhood cruisten und UGK sich weiter im Süden den Verstand mit Sizzurp vernebelten. Genau in dieser Phase schrieb Rockys erste Raptexte und ging einen weiteren Schritt in die Richtung, die seine Mutter bereits bei seiner Geburt für ihn vorsah, als sie ihr zweites Kind nach Raplegende Rakim benannte. In der Folgezeit verbrachte der junge Rakim Mayers viel Zeit damit, Blunts zu rauchen, Edward Fortyhands zu zocken und dabei die Entwicklungen in der HipHop-Landschaft genauestens unter die Lupe zu nehmen. Nachdem sowohl sein Vater als auch sein großer Bruder der Justiz und später Gewaltverbrechen zum Opfer fielen und er sich daraufhin gezwungen sah, in ein Obdachlosenheim zu ziehen, fasste er den Entschluss, dass es von nun an nur noch nach oben gehen könne. Wenige Jahre und viel harte Arbeit später ist seine Chance gekommen. Und diese will A$AP Rocky auf jedem der zwölf Tracks nutzen.


Der Albumopener und gleichzeitige Titeltrack Long Live A$AP bietet eine kurze Einführung in die Welt des Grillz-tragenden "Pretty Flacko", der sich für den verträumten Beat sogar mit an die Regler setzte. Kurzum ein melodisches Intro, das A$AP-Standards gerecht wird und abermals untermauert, warum die Uptown Crew aus dem Nichts an die Spitze der Musikwelt schoss. Momentan beherrscht eben niemand den urbanen Straßen-Rap so gekonnt wie sie. Und das soll auch erstmal so bleiben.

Angeführt vom Single-Zugpferd Goldie zeigte uns Rocky alle "motherfuckas that he came with" und cruist dazu selbstgefällig wie es nur neureiche Proletarier sein können durch die Pariser Innenstadt. Großartig.
Danach vereint PMW hedonistische Stripclub-Fantasien mit exzellent zerstückelten Reimketten von Rockys Feature-Buddy aus Kalifornien, Schoolboy Q. Ohne Frage einer der besten Songs des Albums, auch wenn er schon vor einigen Wochen als Leak durch die Weiten des Internets geisterte.

Das er sich auch raptechnisch entwickelt hat und, wenn auch nur sporadisch, reflektierter texten kann, beweist Rocky vor Allem auf dem von Santigold mit einer karibischen Elektro-Hook unterlegtem "Hell".

Das eigentlich fast schon widerlich auf Charterflug gepolte "Fuckin' Problem" mausert sich überraschenderweise gerade durchs Drakes überragenden 16er zu einem Concerto Kokain-geschwängerter Bubenstreiche und verkaufte in kürzester Zeit über 500.000 Einheiten - schwer, da noch einen drauf zu setzen.




Rocky reagiert mit einer beneidenswerten Scheißegal-Haltung und macht das, womit nur die wenigsten gerechnet hätten. Wer, wenn nicht er wagt im Jahr 2013 auf dem eigenen Rap-Debut einen Crossover-Track mit Skrillex? Eben, niemand.


Auf Train stehen A$AP Rocky mit Kendrick Lamar, Joey Bada$$, Yelawolf, Danny Brown, Action Bronson und Big K.R.I.T. gleich sechs kontemporäre Reimschmiede zur Seite, die auf einem Mid-90s-Beat Battle-Texte rausfeuern und zu minutenlangem Kopfnicken einladen.

Leider geht es danach qualitativ abwärts. Fashion Killa holt selbst die softesten Rapfans auf den Boden der Tatsachen zurück und besteht größtenteils aus abstoßendem Name-Dropping ("Schawn Pol Goltijay") auf einem fast schon lächerlichen Jodeci-RnB-Beat. Amateurhafte Reime wie "I Adore Your Dior" komplettieren das peinliche Gefüge und resultieren in absolut unnötigem Füllmaterial, das meine Finger schon nach der ersten Strophe fleißig nach der Skip-Taste suchen lässt.
Auf Phoenix gibt sich Rocky gesellschaftskritisch, weiß aber nur streckenweise zu überzeugen, etwa wenn er den von Dangermouse gemasterten Beat auch ohne wahre Hook aufrecht erhält.  
Suddenly lässt Rocky mit souligen Samples hochschaukeln und orientiert sich ohne Zweifel an narrative Kanye-Tracks aus alten Zeiten - leider erzählt er seine Lebensgeschichte dabei nicht ganz so überzeugend wie der Junge aus Chi-Town. Trotzdem ein überlegt gezogener Schlussstrich unter einem Albums, das danach nur noch mit wenig überzeugenden Bonus Tracks aufwartet. 
Der treibende dunkel Beat auf Jodye begleitet Rocky in seiner Rolle als Südstaaten-DMX und passt zwar überraschend gut ins allgemeine Soundbild, hebt sich aber lyrisch kaum aus der Masse hervor. Auch Ghetto Symphony, auf dem Rocky wie André 3000 spittet, weiß anfangs zu überzeugen, während er sich von Doppelreim zu Doppelreim hangelt - leider enttäuschen die Feature-Beiträge von Gunplay und A$AP Ferg (als OutKast-Counterpart Big Boi) und lassen  den Hörer im Verlangen nach ein bis zwei weiteren Rocky-Verses zurück. Auch Angels und I Come Apart markieren nichts Weiteres als eine unnötige Ergänzung der Tracklist für Hardcore-Fans der Harlem Crew. 


Durch sein einzigartiges Stilbewusstsein, zeitgemäße Beats und gerade einmal ein Mixtape hat es A$AP Rocky in der kürzester Zeit, ganz oben auf der Swag-Welle mitzureiten und dabei gefährlich nahe an den Rap-Thron zu kommen. Dass diese Welle davor brechen würde, war spätestens nach Kendrick Lamars Meisterwerk im Oktober Gewissheit. 
Long.Live.A$AP ist weder Enttäuschung, noch Offenbarung. Die Platte ist eindeutig zu gut dafür, um sie als kapitalistische Foltermethode für nordkoreanische Überläufer anzuwenden. Etwa die Hälfte der Tracks erweisen sich als waschechte Clubbanger im A$AP-Stil und werden wohl bald weltweit im Suff mitgerappt werden. Die beiden wohl gewählten Singles sorgen für das nötige Airplay im Radio. Der Rest des Albums bewegt sich leider zwischen kurzweiliger Unterhaltung und völlig inakzeptabler Selbstbeweihräucherung ohne musikalische Akzente, sodass leicht das Gefühl entsteht, dass dem Künstler nach einem starken Beginn irgendwann die kreative Puste ausging.
Und trotzdem: mit seiner Debut-LP hat A$AP Rocky etwas geschaffen, das in jüngerer Vergangenheit einzig den Jungs von Odd Future vorbehalten war - Kultstatus. Rocky ist ein Trendsetter wie er im Buche steht. Was er sagt und was er trägt manifestiert sich unumgänglich in den Köpfen der Jugend. Er nutzt diese Macht zwar nicht dazu, ein Überalbum à la Illmatic zu erschaffen - Straßenrap war trotzdem selten so authentisch. Long.Live.A$AP ist ein Zeitdokument und klingt wie New Yorker Rap im Jahr 2013 zu klingen hat. Grenzen werden überschritten und Gegenpole zusammengeführt. Dirty South, West- und Eastcoast, vereint in einem Rapper names A$AP Rocky.

Auf Alice Schwarzers Geburtstag wird man den jungen Mann aus Harlem wohl nicht rappen hören - aber sonst wahrscheinlich überall auf der Welt.



Anspieltipps

- PMW (feat. Schoolboy Q)
- Fuckin' Problems (feat. Drake & Kendrick Lamar)
- Train (feat. Kendrick Lamar, Joey Bada$$, Yelawolf, Danny Brown, Action Bronson & Big K.R.I.T.)



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