Donnerstag, 26. Juni 2014

WM Spezial: Die Klinsi-Cam

Es ist die WM der Überraschungen. Dies bestätigt nicht nur der O-Ton in den Sportmedien. Nein, alleine die Fakten auf dem Papier sprechen Bände.
Die englischen Fans, aus dem Mutterland des Rasensports? Gedanklich bereits beim sechsten Pint im Pub um die Ecke. Ebenso verabschiedete sich Weltmeister Spanien mit einem unerwartet glanzlosen "Adios" vorzeitig aus dem Wettbewerb. Italien ist ebenfalls vorzeitig draußen raus. Oder wie es Bushido weitaus treffender auf Twitter ausdrückte: #aurevoir

Auch die iberischen Nachbarn aus Portugal machen es überraschend spannend und stehen vor dem letzten Gruppenspiel gegen Ghana mit dem Rücken zur Wand.Eine nicht zu unterschätzende Teilschuld daran trägt ein uns wohl bekannter Bäckergeselle aus Botnang: Jürgen Klinsmann, einst Regisseur des deutschen Sommermärchens '06.

Doch wir schwelgen in der Vergangenheit und schweifen ab. Zurück zum aktuellen Geschehen in Brasilien. Irgendwo zwischen Porto Allegre und Rio de Janeiro scheint das ZDF seine Arbeitsethik verbummelt zu haben. "Das Zweite" präsentiert sich überraschend boulevardesk und nicht selten so sensationsgeil wie ein BILD-Redakteur ohne Festanstellung. So bleibt dem Zuschauer einerseits die Wahl, DFB-Cougar Katrin Müller-Hohenstein beim pubertären Plantschen mit Lukas Podolski zu beobachten oder wahlweise die WM-Spiele per Online-Stream live aus zwanzig(!) verschiedenen Kameraperspektiven zu genießen.
Unverbesserliche Lokalpatrioten wie die Blogomotivführer begrüßen ein derartiges Luxusangebot, indem sie sich alle Begegnungen mit US-amerikanischer Beteiligung ausnahmslos in der exklusiven Klinsi-Cam reinziehen. Warum? Ganz einfach. Nicht erst seit seiner Hochzeit mit Topmodel Debbie Chin und dem Umzug an die Küste Südkaliforniens lebt die Schwabenlegende auf der Sonnenseite des Lebens.

Accidental Hipster Klinsi

Bereits zu seiner aktiven Zeit erfuhr der gebürtige Göppinger weltweite Bekanntheit als Mann mit dem femininsten Torjubel seit Michael Sternkopf. 




Übrigens bis hat sich daran bis heute nicht viel geändert.




Und auch sonst geht von der 90-minütigen Non-Stop-Beobachtung des Stuttgarter Exportschlagers Klinsmann eine schwer einzuordnende Faszination aus, die Edward Snowdens bestimmt noch aus seinem ehemaligen Berufsalltag kennen sollte - nur eben ohne statistische Trivia-Bombardierung eines Belà Rethy.

Erst in der Nacht zum Montag war es wieder einmal soweit gewesen. Ganze Scharen an Amerikanern quälten sich trotz erhöhtem Diabetesrisiko keuchend durch das tropische Klima des brasilianischen Amazonas-Urwalds und wischten sich behäbig den Schweiß von der Stirn. 
Nicht umsonst hatte die FIFA, die im Vorfeld des Turniers die offizielle Vorgabe erteilt, dreiminütige Wasserpausen während des regulären Spielbetriebs einzuführen. Ein Timeout fast wie in der NBA - mit dem Unterschied, dass die Amerikaner im Fußball ihren Underdog-Status nie wirklich ablegen konnten. Bis zu jenem verhängnisvollen Abend im Millionengrab-Stadion von Manaus, wo man der portugiesischen Elf rund um Superstar Cristiano Ronaldo ein über weite Strecken verdientes und sportlich höchst attraktives Unentschieden abringen konnte.
Beinahe unbemerkt tüftelt Klinsmann an seinem langfristig ausgelegten Masterplan des US Soccer 2.0. In bester Angela-Merkel-Manier räumt er dabei alle potenziellen Gefahrenherde nonchalant aus dem Weg. Selbst Rekordtorjäger Landon Donovan fiel ihm zum Opfer und musste von der heimischen Couch mit ansehen, wie sein Trainer einen Deutsch-Amerikaner nach dem anderen für den WM-Kader nominierte. Darüber hinaus integrierte Klinsmann öffentlichkeitswirksame Paradiesvögel wie DeAndre Yedlin in seine Mannschaft und sorgte mit diesen Schritten für deutlich mehr Berichterstattung diesseits und jenseits der USA.
Der Plan scheint aufzugehen. Langsam aber sicher hat Jürgen Klinsmann den Fußball in den Vereinigten Staaten etabliert: niemals zuvor war das Interesse für "Soccer" auf der anderen Seite des Großen Teichs so gewaltig. Nationale Medien proklamieren großspurig die Titelambitionen des US-Verbands und sogar Präsident Obama bekundet sein persönliches Interesse am ehemaligen Randsport Fußball.
Doch Jürgen Klinsmann spinnt den Gedanken zu Ende. Eine funktionierende Eigen-PR führt zu mehr medialer Berichterstattung und einem erheblichen Popularitätsanstieg, was sich auf Verbandsebene wiederum in höheren Budgets und gezielterer Jugendarbeit widerspiegelt.

Um seinen Eroberungsplänen vehementen Nachdruck zu verleihen, hat Klinsmann zudem alte Weggefährten aus Deutschland um sich geschart. Tatsächlich nehmen dieser Tage Andi Herzog und Berti Vogts neben ihm auf der Bank Platz und tragen vermutlich mehr zum Erfolg der US-Boys bei, als der aufgedunsene Boris Becker zur rechten Vorhand von Novak Djokovic.
Und weil Vogts sein Engagement als Nationalcoach Aserbaidschans scheinbar nur bedingt erfüllt, sammelt der Gladbacher "Terrier" mittlerweile mehr Bankminuten als Ron-Robert Zieler. Schade eigentlich, dass gerade hier die Truman Show des ZDF ein abruptes Ende nimmt. Zu gern würde man erfahren, was etwa Herzog in seinem Wiener Schmäh auf der Bank der Yankees grantelt. Wir warten jedenfalls auf noch mehr Kameraoptionen seitens der Öffentlich-Rechtlichen.

Darüber hinaus steht eine andere große Frage weiterhin im Raum. Wird der Fußball-Hype in den Staaten auch über die WM-Endrunde hinaus andauern? Und wie rosig steht es wirklich um die Zukunft des US Soccer 2.0? Heute Abend (18.00 Uhr, MEZ) wird in Recife das nächste Kapitel geschrieben. Mal sehen, welche Schmankerl die Klinsi-Cam diesmal für uns bereithält.

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